Kohlscheider Geschichte(n) aus der Zeit von vor 80 Jahren
Diese Fakten und Geschichten sollen dazu beitragen diese Zeit nicht zu vergessen.
Wir erinnern an diese Zeit, weil wir danach über 70 Jahre Frieden hatten und jetzt?
Haben Sie die Zeit selbst mitgemacht? Erinnern Sie sich an diese Zeit? Bitte melden Sie sich über Kontakte bei uns, wir sollten ihre Erinnerungen festhalten. Danke
Bei diesem Bericht handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Arbeit
-absolute Priorität hat die Erinnerung als Appell, NICHT zu VERGESSEN.
Texte und Fotos kopieren oder anderweitig zu verwenden, ist nur nach Absprache gestattet. Nachbemerkungen und Nachträge von Geschichtsfreunden zu der Reihe
NICHT VERGESSEN
Judith Amkreutz, Tochter des Möbelhändlers Amkreutz, lebt seit vielen Jahren auf Teneriffa in Puerto de la Cruz.
Sie hat unsere Seite gesehen und wollte einen Beitrag leisten zu Geschichten aus Kohlscheid.
Sie schickte mir Bilder und Unterlagen von ihrer Familie, unter anderem zu dieser Geschichte:
„Der Brief an den Führer“ –
Felix Amkreutz und die verlorene Existenz
Kohlscheid, Sommer 1943. Ein Kaufmann kämpft an zwei Fronten – im Krieg und gegen die eigene Bürokratie.
Das größte Möbelhaus am Platze
Bis 1939 war Felix Amkreutz ein angesehener Möbelhändler in Kohlscheid.
Sein Geschäft mir vier großen Schaufenster lag zentral am Adolf-Hitler-Platz 6 (heute Am Ehrenmal) – das größte Möbelhaus am Ort.
„Komplette Wohnungseinrichtungen – Polsterwaren – Kinderwagen – Teppiche – Gartenmöbel“,
stand auf seinem Briefkopf.

Briefkopf 30er Jahre, Sammlung Judith Amkreutz
Als der Krieg begann, wurde Felix Amkreutz eingezogen.
Das Geschäft schloss er „vorübergehend“.
An der Ladentür hing ein Zettel: „Inhaber im Felde.“
Er diente zuerst im Westen, dann im Winter 1941/42 in Russland, bei Temperaturen weit unter null.
Ein Brief an die Reichskanzlei
Im Juni 1943 schrieb Felix Amkreutz aus dem Feldpostgebiet an die Reichskanzlei des Führers, Berlin.
Sein Brief ist erhalten geblieben – ein außergewöhnliches Zeitzeugnis aus Kohlscheid.

Brief von F. Amkreutz an den Führer; Sammlung Judith Amkreutz
„Mein Führer, seit etwa drei Jahren stehe ich als deutscher Soldat im Felde…“
Er schilderte, wie sein Geschäft während seiner Abwesenheit durch eine Verfügung der Landwirtschaftskammer Köln geschlossen und der gesamte Warenbestand beschlagnahmt worden war.
Seine Möbel sollten angeblich „für Fliegerbeschäftigte“ verwendet werden.
„Ich betrachte daher die Schließung meines Geschäftes und die Fortnahme der Ware als eine unbillige Härte einem deutschen Soldaten gegenüber, der alles was er hat dem Vaterlande opfert.“
Amkreutz betonte, er sei „politisch unbescholten“, Vater von fünf kleinen Kindern, und habe weder mit Behörden noch mit der Steuer je Schwierigkeiten gehabt.
Er bat um Überprüfung und um Rückgabe seines Geschäfts
Brief von Felix Amkreutz an die Reichskanzlei, 15. Juni 1943; Originaltext (Auszug)
„…Ich bin von Beruf gelernter Möbelkaufmann und mein Warenbestand betrug immer 40 bis 50 Zimmer.
Ich habe ein eigenes Geschäftshaus mit vier großen Schaufenstern.
Ich bitte daher, die Schließung meines Geschäftes, die eine unbillige Härte einem deutschen Soldaten gegenüber darstellt, rückgängig zu machen, da ich als größtes deutsches Geschäft am Platze nicht begreifen kann, warum mein Geschäft geschlossen werden soll.“
Mit deutschem Gruß – Heil Hitler
Obergefreiter Felix Amkreutz, Feldpostnummer 12329 c
Originaltext Brief an die Reichskanzlei des Führers, Berlin, von Felix Amkreutz, Kohlscheid
(Der Brief wurde ohne Änderungen abgeschrieben. Bei vielen Formulierungen und Wiederholungen wird die Verzweiflung klar, mit der Felix Amkreutz um sein Eigentum kämpfte.)
Felix Amkreutz -- größtes Möbelhaus am Platze
komplette Wohnungseinrichtungen, Polsterwaren, Einzelhandel, Kinderwagen, Teppiche, Gartenmöbel
Kohlscheid, Adolf Hitler Platz 6,
Kohlscheid den 15 Juni 1943
An die Reichskanzlei des Führers Berlin
Mein Führer
Seit etwa drei Jahren stehe ich als deutscher Soldat im Felde und war sowohl im Westen als auch im Winter 41 / 42 in Ruhsland im Einsatz. Aufgrund der Verfügung dass Kinderreiche aus der kämpfenden Truppe herausgezogen werden sollen, wurde ich durch Verfügung des Herrn Generalltn. von Faber dü Faur aus der kämpfenden Truppe herausgezogen und in das Heimatkriegsgebiet versetzt. Auf Grund einer neuen Anordnung wurde ich jedoch schon nach einiger Zeit zum Sicherheitsregiment nach Paris versetzt. Bis zum Militäreintritt betrieb ich in Kohlscheid, einem Ort von etwa 15000 Einwohner in der Nähe von Aachen, ein Möbelgeschäft , welches ich in Folge meiner Einberufung zu Wehrdienst vorübergehend geschlossen habe. Am 26. 5. 43 erhielt ich nun von der Landwirtschaftskammer Köln ein Schreiben, dass mein Geschäft auf Grund der Geschäftsschliehsungsaution am 31 Mai als geschlossen gelte und mein Warenbestand beschlagnahmt sei und an ein anderes Geschäft abzugeben sei, was inzwischen auch bereits erfolgt ist. Nach Rücksprache mit dem Bürgermeister und Ortsgruppenführer der N. S. D. A. P. von Kohlscheidteilte mir dieser mit, das die Schliehsung meines Geschäftes nicht auf Vorschlag der Ortsgruppenleitung noch auf Vorschlag der Gemeine Kohlscheid erfolgt sei, vielmehr sei weder die Gemeinde Kohlscheid noch die Ortsgruppenleitung zu der Schließung gefragt worden. Bis heute seien auch beide Dienststellen noch nicht von der Schliehsung in Kenntnis gesetzt worden. Da ich politisch bisher unbescholten bin kann ein politisches Führungszeugnis jederzeit nach Angaben des Ortsgruppenführers von der hiesigen Dienststelle angefordert werden. Auch habe ich bis heute noch niemals Differenzen mit der Steuer gehabt. In Kohlscheid waren vor dem Krieg 4 Möbelgeschäfte, wovon ich das gröhste führte. 2 andere Möbelgeschäfte deren Inhaber Holländer waren wurden ebenfalls jetzt geschlossen. Auf ist lediglich noch ein kleines Geschäft, dessen Inhaber von Beruf Bergmann ist , und dessen Warenlager nie über drei Zimmereinrichtungen hinaus gewesen ist. Ich bin von Beruf gelernter Möbelkaufmann und mein Warenbestand betrug immer 40 bis 50 Zimmer, hatte ein eigenes Geschäftshaus mit 4 grohsen Schaufenstern. Die mir nun fortgenommenen Möbel sollen für Fliegerbeschäftigte verwendet werden, und zwar soll die Ware nach Verfügung des Herrn Landrats im Landkreis Aachen bleiben. Als nun ein anderer Möbelhändler gesucht wurde im Landkreis Aachen war keiner zu finden welcher die Ware übernehmen bzw. bezahlen konnte, trotzdem eine ganze Partie Geschäfte in der Gröhse meines Geschäftes im Landkreis Aachen sind. Ein Zeichen das die Geschäfte noch alle mit Waren voll sind und die Wegnahme des Warenbestandes eines im Felde stehenden Soldaten nicht rechtfertigt ist. Die Ware hat nachher ein Grohsist übernommen. Wie ich nun in Erfahrung gebracht habe, sind die Geschäfte deren Inhaber im Felde stehen genau wie ich und die ihr Geschäft gleichfalls vorübergehend geschlossen hatten nicht von der Geschäftsschliehsung erfahst worden. Dieselben haben weder den Schliehsungsbescheid bekommen noch hat man denen ihren Warenbestand fortgenommen. Vielmehr ist lt. einem Schreiben des Herrn Landrat an die Gemeinde Kohlscheid von der Schliehsung der Geschäfte deren Inhaber die im Felde stehen und ihr Geschäft bereits vorübergehend freiwillig genau wie ich von einer Schliehsung Abstand genommen worden. Ich betrachte daher die Schliehsung meines Geschäftes und die fortnahme der Ware als eine einseitige und unbillige Härte einem deutschen Soldaten Gegenüber, der alles was er hat dem Vaterlande opfert und jeden Tag bereits sein muhs selbst sein Leben dahinzugeben. Ebenfalls wurden laut Schreiben vom 11 Juni meine Geschäftsräume auf Grund des Reichsleistungsgesetzes beschlagnahmt, bis zu einer anderweitigen Verfügung. Tritt nun der Fall ein, das ich Kriegsversehrt entlassen werde, habe ich für die Dauer des Krieges keine Berechtigung mein Geschäft wieder zu eröffnen. Ich bitte daher die einseitige Schließung meines Geschäftes, die eine unbillige Härte einem deutschen Soldaten gegenüber darstellt der im Feld steht, ferner als Vater von 5 kleinen Kindern dem durch die Schliehsung jede Existenzmöglichkeit genommen ist, besonderes da ich bisher sowohl politisch unbescholten bin, was durch den Ortsgruppenführer der N. S. D. A. P. jederzeit bekundet werden kann, ich niemals vor dem Kriege noch beim Militär bestraft worden bin, die Schliehsung meines Geschäftes rückgängig zu machen, da ich als gelernter Möbelkaufmann und als gröhstes deutsches Geschäft am Platze nicht begreifen kann, warum mein Geschäft geschlossen werden soll.
Ich bitte meine Angaben zu überprüfen und die Schliehsung des Geschäfts aufzuheben.
Mit deutschem Gruhs
Heil Hitler
Obergefr. Felix Amkreutz
Felspostnummer 12329 c
(Die Schreibweise von ß mit hs ist darauf zurückzuführen, dass der Brief mit einer englischen Schreibmaschine geschrieben wurde.)
Der Angriff auf Aachen – und die verlorenen Akten
Zwei Monate später kam eine Antwort – allerdings nicht aus Berlin, sondern von der Wirtschaftskammer Köln, Unterabteilung Einzelhandel, Geschäftsstelle Heinsberg.
Der Brief trug das Datum 10. September 1943.
Darin hieß es:
„Durch den auf die Stadt Aachen erfolgten Fliegerangriff in der Nacht zum 14. Juli 1943 wurden unsere sämtlichen Unterlagen vernichtet. Es ist anzunehmen, dass sich darunter auch Ihr Einspruch befindet.“
Die Bombennacht über Aachen hatte also nicht nur Häuser zerstört, sondern auch Akten, Anträge – und Felix Amkreutz’ Hoffnung auf eine Entscheidung.
Man bat ihn, seinen Einspruch noch einmal einzureichen.
„Wir bitten zwecks Weiterbearbeitung umgehend um eine Abschrift des seinerzeit erhobenen Einspruchs.“
Wirtschaftsgruppe Einzelhandel – Bezirksuntergruppe Aachen in der Wirtschaftskammer
gez. A. Nyster
Verloren im Räderwerk der Bürokratie
Ob Felix Amkreutz je eine Antwort aus Berlin erhielt, ist nicht bekannt.
In den erhaltenen Akten findet sich kein weiterer Bescheid.
Sein Geschäft blieb geschlossen, sein Warenbestand wurde an einen Großhändler abgegeben.
Wie viele andere, die im Krieg standen, wurde er zum Opfer eines Systems, das den Einzelnen nicht mehr sah.
Nach 1945 soll der Handel bestanden haben, aber die Schaufenster blieben lange leer.

Geschäftshaus Amkreutz. 1950er Jahre; Sammlung Judith Amkreutz
Diese Geschichte zeigt einmal mehr wie rücksichtslos autoritäre Regime bzw. deren Handlanger ohne Gerechtigkeitsgefühl mit ihren Menschen umgehen.
Diese Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, die Verhaltensmuster der damaligen Mächtigen NICHT ZU VERGESSEN
Hier ist Platz für weitere Geschichten.
Dank
an Judith Amkreutz für die Informationen
an alle, die mir ihren Zuspruch meist persönlich aber auch ausführlich zu der Reihe NICHT VERGESSEN gaben.
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