Der Heimatverein erinnert an das Bahnunglück 1972
Die Schlagzeilen
Eilzug raste im Nebel auf stehende Diesellok
Eilzug rammte Rangierlok
Kohlscheid: Zugunglück im Nebel
Von einem schweren Eisenbahnunglück wurde die Bundesbahn am Dienstagmorgen im Aachener Raum betroffen
Stromstörungen in der Oberleitung haben verhindert, dass gestern Morgen bei einem Zugunglück in dichtem Nebel Menschen sterben mussten.
Foto W Sevenich Der Eilzug
Foto W. Sevenich Der erste Waggon
Ein verheerendes Bild bot sich an der Unfallstelle – Links auf dem Foto erkennt man den total zerknautschten Fahrstand der Eilzuglokomotive – Rechts sieht man den Knick, der im ersten Waggon des Zuges bei dem Aufprall entstand.
Foto Sepp Linckens Der Unglückszug E1766, Mönchengladbach - Aachen
Was war passiert?
Am Morgen des 29. Februar 1972 war starker Nebel. Wie immer, wenn ein schwerer Güterzug die Steilstrecke von Herzogenrath zum Bahnhof Kohlscheid hoch muss, so wurde auch an diesem Morgen ein Zug von einer Diesellok angeschoben. Um 7:20 Uhr erreichte der Zug den Bahnhof Kohlscheid. Die Schiebelok wurde getrennt. Der Güterzug fuhr zügig weiter in Richtung Aachen. Die Schiebelok blieb vor der Weiche zum Parallelgleis stehen. Um 7:29 Uhr fuhr der Eilzug von Mönchengladbach ohne zu bremsen auf die Schiebelok auf.
Das Unglück kam im Nebel ohne Vorwarnung. Der viele hunderte Tonnen wiegende Eilzug rammte die stehende Lok mit voller Wucht. Erst nach 250 Metern kam der Eilzug zum Stehen. Die Diesellok bewegte sich durch den Anstoß noch 70 Meter weiter.
Bundesbahnrat Franz Koch: „Zufällig fiel die Stromversorgung für die E-Lok zweimal aus, so dass der Zug „gebremst“ wurde.“
Die Auswirkungen
Die Zugpassagiere waren in der Hauptsache Pendler, die nach Aachen zur Arbeit fuhren. Neben dem Schrecken für alle Menschen in dem Zug und auf den Loks wurden 44 Menschen zum Teil schwer verletzt.
Foto
J. Schmidt Gequetsches Abteil
Foto Sepp Linckens Deformierter Wagengang
Ein Blick in ein Abteil und den Gang des Zuges zeigt, dass die Passagiere von Glück reden können, dass das Unglück verhältnismäßig glimpflich ablief.
Foto J. Schmidt Blick in den Führerstand der 103
Nur durch einen Sprung konnte sich der Lokführer des Eilzuges retten, sonst wäre er im eingedrückten Führerhaus der Lok zerquetscht worden. Das Rad mit dem die Geschwindigkeit geregelt wird, bohrte sich bei dem Zusammenprall in die Rückenlehne des Fahrersitzes.
Zitat aus den Aachener Nachrichten:
"Dr. med. Norbert Stassart (Kohlscheid) der kurze Zeit nach dem Zusammenprall an der Unglücksstelle eintraf, leistete bei den Schwerverletzten erste Hilfe. Wie er den Nachrichten mitteilte , erlitt der Diesellokführer schwere Kopf- und Beinverletzungen. Ähnliche Verletzungen trugen auch drei weitere Fahrgäste davon. Ein junges Mädchen hatte nach den Angaben des Artztes eine stumpfe Bauchverletzung und wurde ins Würselener Krankenhaus gebracht. Die weiteren verletzten Fahrgäste trugen zumeist Unterschenkel- und leichte Kopfprellungen davon. Während die Schwerverletzten mit dem Rettungs-und Krankenwagen der Brandwache Würselen sowie der Kanappschaftswagen transportiert wurden, hatten sich in die Hilfsaktion auch ein Kohlscheider Taxiunternehmen und Privatfahrer eingeschaltet.
Vorbildlich haben sich, wie den Nachrichten an der Unglückstelle bestätigt wurde, alle Beteiligten verhalten, darunter auch Bahnbeamte , die selbst im Eilzug saßen um ihren Dienst in Aachen anzuteten. Die Verletzten wurden in kürzester Zeit in ärztliche Behandlung gebracht. Der Rettungsdienst wurde vorbildlich abgewickelt. Am späten Nachmittag waren 38 davon wieder aus den umliegenden Krankenhäusern entlassen worden. Die beiden Lokführer und vier Fahrgäste wurden so schwer verletzt, dass sie im Krankenhaus bleiben mussten. Es besteht jedoch keine Lebensgefahr.
Die Polizei sprach von einem Gesamtschaden von einer halben Million DM. Die Bundesbahn von 200.000 DM."
Der WDR berichtet am Abend des 29. Februar 1972 über den Unfall in "Hier und Heute". Die Kohlscheider Ärzte Hans und Lutz Göbbels arbeiteten 1972 im Bardenberger Krankenhaus. Einer der beiden berichtete über die Situation im Krankenhaus. Er beschrieb die Gemütszustände der Verletzten und er berichtete über die Behandlungen.
Wie konnte es passieren?
Bundesbahnrat Franz Koch (Aachen): „Die letzte Ursache, die zu diesem Unglück führte, ist noch nicht geklärt. Ein technisches Versagen scheidet aus.“
Er stellte im Nachhinein den Hergang etwas anders dar, als in ersten Berichten der Presse: „Die Schiebelok hatte sich hinter dem Güterzug auf der starken Steigung zwischen den Bahnhöfen Herzogenrath und Kohlscheid befunden. Dieser Zug hatte um 7:25 Uhr den Bahnhof im Stadtteil Kohlscheid durchfahren. Dann war die Schiebelok zurückgeblieben, während der Güterzug gezogen von nur einer Lok, seine Fahrt in Richtung Aachen – West fortsetzte. In der Zwischenzeit ließ der Führer der Schiebelok diese wieder rückwärts in den Bahnhof Kohlscheid einrollen. Er hielt vor einer Weiche an und wartete offensichtlich auf die Freigabe der Strecke, um wieder nach Herzogenrath zurückzufahren. Und hier lag offenbar das Missverständnis. Der Fahrdienstleiter in Kohlscheid hatte, aus welchen Gründen ist noch unklar, angenommen, dass die Schiebelock weiter mit dem Güterzug gefahren sei. Trotz der geringen Entfernung vom Bahnhof bis zur haltenden Lok mit ihrem wartenden Führer war dieses „Hindernis“ im dichten Nebel nicht zu erkennen. Der Fahrdienstleiter gab also dem in Kohlscheid nicht haltenden Eilzug freie Fahrt. Der Zug brauste auf die haltende Lok und schob diese noch 250 Meter weit.“
Also; seine Aussage war nichts Genaues; alles ziemlich wässrig.
Im Fachbuch „Katastrophen der deutschen Bahnen“ findet man:
„Ritzau: „Der Fahrdienstleiter hatte die Schiebelokomotive offensichtlich vergessen" und an einer anderen Stelle: „….. auf die stehende Lok gefahren, die einen G ab Herzogenrath nachschieben sollte, aber außerplanmäßig und ohne den Fdl zu verständigen abgekuppelt worden war….“
Eine endgültige offizielle Stellungnahme der Bahn konnten wir bisher nicht finden.
Für Eisenbahnfreunde
Zitate aus Büchern „Die Baureihe 103“, "Die Baureihe 215“, EK Verlag:
Schäden und Reparaturen: Nach nur zwei Einsatzmonaten fährt 103173 – eine Maschine mit kurzen Führerständen – im Februar in Kohlscheid auf 215044 auf, was an der Maschine einen Führerstands-Totalschaden zur Folge hat. Der Sachschaden wird auf eine halbe Million geschätzt.
Bei ihrem aufwendigen Wiederaufbau, der bis zum 14. Dezember 1973 andauert, erhält die Maschine als Besonderheit die verlängerten Führerstände analog den Lokomotiven 103216 – 245 der 5. Lieferserie.
Die 215 wurde vom 6. März 1972 bis 9.April 1973 wieder aufgebaut. Im Betriebsbuch ist zu lesen: „Führerhaus 2 einschließlich aller zugehörigen Teile erneuert. Sämtliche Unfallschäden beseitigt, Probefahrt ausgeführt.“
Quellen und Entstehung des Berichtes:
Vor über einem Jahr bekamen wir die Erinnerung an das Unglück von einem Gönner und Freund des Heimatvereins. Umgehend wurde recherchiert. Im eigenen Archiv befand sich ein Zeitungsschnipsel, leider ohne Angabe, um welche Zeitung es sich handelt. Der Fotograf Wolfgang Sevenich suchte in seinem umfangreichen Foto- und auch Textarchiv und wurde fündig. Im Kulturarchiv Würselen befinden sich Originalexemplare der Aachener Nachrichten aus den 70er Jahren. Dort fanden wir weitere Texte und Bilder. Die Fachbücher aus dem EK Verlag von 2017: "Die Baureihe 103" und "Die Baureihe 215" brachten einige informationen zum Unfallschaden. Die Anfragen bei drei weiteren Archiven brachten kein Ergebnis.
Aus all den „Fundstücken“ haben wir den vorliegenden Text zusammengestellt.
Als Ursprungsautoren sind zu erkennen und damit auch zu nennen: Helmut Pusch, Manfred Burkhard und Erwin Genten.
Beteiligte Zeitungen: Aachenener Nachrichten, Aachener Volkszeitung, Bildzeitung
Dank:
an Wolfgang Sevenich, Fotoarchiv und Literatur
an das Kulturarchiv Würselen
an Mitglieder des Arbeitskreises Heimatkunde aus dem Heimatverein Kohlscheid
an Marianne Schülke, die wieder den Text redigiert hat.
Aufruf:
Unsere Suche nach Zeitzeugen blieb erfolglos. Sollte sich doch noch jemand finden, dann werden wir selbstverständlich gerne Kontakt aufnehmen. Bitte bei uns melden
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Beim Bahnunglück 1972 war ich auch dabei. Den Zeitungsartikel und die Bilder kannte ich nicht. Sehr interessant. Ich war auch verletzt, hatte eine Platzwunde oberhalb der Stirn. Am Bahnhof bin ich gut versorgt worden. Im Würselener Krankenhaus ist die Wunde genäht worden, aber sie hatte sich nach einigen Tagen entzündet und ich lag 10 Tage im Krankenhaus.Von der DB habe ich aber nichts mehr gehört bez. des Unfalls.
Sehr geehrte Frau Diederen,
vielen Dank für Ihre Informationen. Zeitzeugen sind immer wichtig, denn dadurch wird alles bisher Geschriebene bestätigt.
Vielen Dank auch für unser sehr schönes Telefonat.
Sie berichteten mir unter anderem von dem Taxi, mit dem Sie nach Würselen gefahren wurden und von den Bemühungen Ihres Rechtsanwalts, Schmerzensgeld zu bekommen. Das scheiterte an den alten Reichsbahngesetzen aus der Kaiserzeit.
Danke und alles Gute für Sie
Erich Hallmann